Dieser Post soll eine grundsätzliche Erkenntnis in meinem Leben in den letzten Jahren veranschaulichen. Es handelt sich hierbei um die Wichtigkeit an der Orientierung an der Realität. In zahlreichen Diskussionen mit meinem Freund und Mitbewohner hat sich ein wesentlicher Unterschied in unserer Vorstellung an der Welt herauskristallisiert: Meine Gedanken zur Psychologie, zur Ethik, der Wissenschaft als auch zu vielerei anderer Grundsatzdiskussionen fußen auf der Betonung der Wichtigkeit der realen Welt.
"Man muss die Welt betrachten wie sie IST."
Unsere Gedanken können noch so edel sein, wenn wir uns von den realen Gegebenheiten zu weit entfernen sind sie nutzlos. Sich zu sehr an ein Ideal zu klammern führt letztlich zu nichts, es macht uns handlungsunfähig.
Ein gutes Beispiel ist Wissenschaftsskeptizismus: Es ist oft in der Welt der Wissenschaft vorgekommen, dass eine neue Erkenntnis viele bisherige Erkenntnisse als falsch deklariert haben und somit das gegenwärtige Weltbild erschüttert haben und gefühlt "alles" verändert haben. Beispielsweise ging man lang davon aus, dass die Sonne sich um die Erde dreht. Diese Annahme hat sich als falsch herausgestellt. Aus solchen Beispielen leitet sich eine grundsätzliche Kritik an Wissenschaft ab: "Was heute richtig ist, kann morgen widerlegt sein."
Wissenschaftliche Erkenntnisse sind somit nichts wert. Man kann ihnen nicht vertrauen, denn sie können falsch sein. Wir können uns über nichts sicher sein. Dieser Sachverhalt mag grundsätzlich seine Richtigkeit besitzen. Viele Erkenntnisse werden sich noch als falsch herausstellen. Was wir heute denken, darüber wird man in Zukunft lachen. Sich an dieses Ideal zu klammern ist dennoch kontraproduktiv. Wenn wir uns nichts sicher sein können, so verlieren wir unserer komplette Handlungsfähigkeit. Wenn alles wahr sein kann, ist nichts mehr wahr.
Die Realität birgt allerdings sehr wohl viele ziemlich wahrscheinliche Tatsachen. Wenn wir handlungsfähig bleiben wollen, müssen wir annehmen dass viele unserer Erkenntnisse die Realität widerspiegeln oder zumindest gut genug widerspiegeln. Hier sind wir an der Realitätsorientierung. Die Realität ist nicht komplett unsicher. Unser Welt kann zwar Illusion sein, aber diese Illusion ist vorhersehbar genug, dass wir viele verschiedene Handlungen vollziehen können, die zumeist sehr ähnliche Ergebnisse und Konsequenzen bringen.
Was zählt ist nicht die absolute Wahrheit, sondern dass unsere Erkenntnis gut genug ist um in der realen Welt nützlich zu sein. Es gibt Dinge, die nach bisherigem Wissensstand wahrscheinlicher sind als andere. Uns an den wahrscheinlicheren Dingen zu orientieren bringt uns die Sicherheit, die wir benötigen um Handeln zu können. Es ist besser sich zu irren, als sich der Handlungsfähigkeit zu berauben.
Ein weiteres Beispiel: Die vegane Welt. In unserer Welt werden zu viele Tiere getötet. Veganer und auch Vegetarier sind der Meinung es ist falsch Tiere zu töten. Es wird eine Welt angestrebt und vertreten in der Mensch und Tier gleichberechtigt sind Tiere nicht zum Menschenwohl getötet werden. Dies ist ein edler Gedanke. Dennoch ist er für tatsächliches Handeln recht ungeeignet. Er behandelt eine Welt die nicht existent ist. Ob ich nun selbst Fleisch esse oder nicht ändert recht wenig am Leid der Tiere in der Welt. Andere Menschen ein schlechtes Gewissen einzureden ist auch wenig hilfreich. Letztlich helfen wir mit einer solchen Weltanschauung nur unserem eigenen Gewissen, nicht aber der realen Welt. Das soll nicht bedeuten, dass man nicht vegetarisch oder gar vegan leben darf und/oder dies gut finden darf. Ich möchte lediglich darauf aufmerksam machen, dass zu sehr auf dem Gedanken der veganen Welt zu beharren für diese vegane Welt kontraproduktiv ist und uns handlungsunfähig macht. In der realen Welt leben viele Menschen, die Fleisch mögen und auf dieses nicht verzichten werden. Es ist sehr viel wahrscheinlicher und machbarer einen ökologischeren Fleischkonsum auf der Welt zu erreichen als eine fleischfreie Welt. In dem wir den Kompromiss akzeptieren können, dass ein biologischer Fleischkonsum besser ist als ein konventioneller Fleischkonsum machen wir uns und andere handlungsfähig, da dies eine verwirklichbare, relativ realitätsnahe Option ist. Verurteilen wir alle anderen Menschen und die gesamte Welt stehen wir allein da und nehmen uns die Möglichkeit tatsächlich Einfluss auf diese zu nehmen.
Philosophische Probleme sind spannend, aber oft haben sie mit der realen Welt wenig zu tun. Orientiert man sich an realen Problemen, so hat man auch die reale Option, diese wirklich lösen zu können. Befassen wir uns zu sehr mit der ideelen Welt, so verlieren wir den Bezug zur realen Welt. Doch wir leben in der realen Welt. Ein handlungsfähiger und mündiger Mensch muss Kompromisse eingehen können und seine eigenen Ideale zurückstellen können. Man muss die Welt betrachten wie sie ist.