Montag, 20. Juli 2015

Bachelor of Science

Zwei Jahre und 9 Monate, 180 ECTS Punkte, 4500 Stunden Arbeit, also etwa 113 Wochen Vollzeitarbeit später - ich bin Bachelor of Science. Es ist nun gute 2 Wochen her, seitdem ich offiziell Absolvent eines Studiums bin. Ich darf mich zwar nicht Psychologe schimpfen, aber immerhin habe ich einen psychologischen Abschluss. Es sind 2,75 Jahre vergangen - sehr schnell. Ich habe sehr viel gelernt. Wie hat mich mein Studium verändert?

Ich habe mich vor meinem Studium immens darauf gefreut endlich Student zu sein. Psychologie zu studieren ist ein erstes Lebensziel von mir gewesen, dass ich erreicht habe. Als erster Student meiner Verwandtschaft, zumindest der mir bekannten Verwandtschaft, hatte ich nicht viel Ahnung wie das wohl sein würde zu studieren. Festzuhalten ist, dass das Psychologiestudium ziemlich exakt dem entsprochen hat, was ich erwartet habe: Viel Methodenlehre, breitgefächertes Wissen über verschiedenste Bereiche des Verhaltens und Erlebens und einiges an Lernaufwand.

Ich erinnere mich noch an das Bild des Studenten, das ich im Kopf hatte, wie ich einmal sein würde: Ich stellte mir einen ernsten jungen Mann im Trechncoat vor, der mit seiner Lehrertasche auf den Weg in die Universität war: Strebsam und intellektuell. Das Studium füllte mein Leben aus und das Leben war gut organisiert. Dass dieses Bild der Realität nicht entsprechen konnte war klar. Die Lehrertasche habe ich mir tatsächlich ab und an übergeschnallt, strebsam war ich zeitweise auch. Doch insgesamt war die Zeit, die ich in der Universität verbracht habe sehr kurz.

Studium heißt mehr als Wissensaneignung. Es ist in der Tat Bildung, Bildung einer Persönlichkeit, Entfaltung der eigenen Interessen, ein Stadium zwischen Jugend und Erwachsenenalter, dass in dem Spiel SIMS zurecht als eigene Alterstufe eingeführt wurde. Man musste sich zurechtfinden in dieser neuen Welt. Man wurde allein hineingeworfen in eine neue Stadt und einen neuen Lebensabschnitt. Man musste lernen selbstständig zu sein, Kontakte zu knüpfen, eine Wohnung oder Wohngemeinschaft zu meistern. Die Wissensaneignugn stand im Hintergrund. Das Studium bietet einem die Möglichkeit sich selbst neu zu entdecken und endlich der zu sein, der man ist und in der Schule nie sein konnte.

Semester 1: Alles ist geil 

Vorlesungen besuchte man anfangs recht häufig,  man versuchte mitzuschreiben und Wissen in sich aufzusaugen. Letztendlich stand jedoch die Uni im Hintergrund. Das erste Jahr bestand darin sich einen Freundeskreis aufzubauen, sich ein neues Zuhause zu bauen und seine eigene Rolle im studentischen Kreise festzulegen. Wir tranken viel und schliefen wenig, nie war ich so offen gegenüber Fremden Personen, wie im ersten Semester des Bachelors. Das WG-Leben war ein langes Event, man kochte zusammen, lud Freunde ein und ein jeder Tag war besonders. Es war ein riesiges Stück Anfangseuphorie. Insgesamt muss man jedoch sagen, wohnte ich an zwei Orten. Fast jedes Wochenende fuhr ich in die Heimat und pflegte die Kontake. Ich hatte einen Hauptwohnsitz und einen zweiten wollte ich bilden.

In der ersten Prüfungsphase lernte ich viel und lange. Ein jeder Tag war gut gefüllt mit Stoff und ich konnte ihn letztendlich in und auswendig. Als die Noten kamen wurde mir schnell klar: Eine 1 schaffe ich auch mit der Hälfte oder noch weniger Aufwand. Doch ich wollte alles wissen. Wenige Prüfungen habe ich geschoben, es war nur eine oder zwei - sogar ohne Gewissensbisse. Das erste psychologische Wissen ist inzwischen sehr verblasst. Dinge wie den Bystander-Effekt vergisst man natürlich nicht, doch gab es nur wenig so zentrales.

Den Beginn meiner ersten Semesterferien zögerte ich hinaus und lebte noch ein wenig in Innsbruck. Als ich in die Heimat zurückkehrte war ich in einer hocheuphorischen Stimmung und fühlte mich endlich als das was ich immer sein wollte: ein Student. Mehrere Wochen am Stück daheim zu sein schüttelte meine Gefühle durcheinander. Wo wollte ich sein, wo war mein Leben, waren 2 Hauptwohnsitze machbar? Ich versank im heimatlichen Freundeskreis und fuhr schweren Herzens zurück nach Innsbruck. Das erste Semester war hoch emotional, spannend und machte Lust auf mehr.

Semester 2: Studieren ist geiler

Das zweite Semester war ein wenig Desillusionierung: Zwei Hauptwohnsitze war nicht machbar. Emotional an zwei Orten gebunden zu sein war schmerzlich und sorgte für Streit. Innsbruck wurde mehr, die Heimat wurde weniger, die Wochenenden an denen ich zurückfuhr wurden seltener. So kam es zu einer Vertiefung der Freundschaften in Innsbruck, das Studium und die Vorlesungen wurden unwichtiger. Man besuchte nur mehr die Hälfte und das mit gutem Gewissen. Die Sonne strahlte und man entdeckte die Stadt im Sommer.

Die zweite Prüfungsphase stand im Motto der Aufschiebung: Im Oktober war auch noch Zeit. Der Spaß stand im Vordergrund, Prüfungen sollte zwar eine gute Note bringen, wann war jedoch egal. Man entdeckte erste Interessensgebiete in der Psychologie und freute sich auf das dritte Semester. Vorerst standen jedoch 3 Monate Ferien an.

Zurück in die Heimat im Sommer. Festzustellen waren die ersten Unterschiede zwischen einem selbst und den alten Menschen. Man fuhr in den Urlaub und für mich war es wie immer, für die anderen ein Event. Man stellte Differenzen in der Themenwahl fest, man merkte, dass es nicht mehr so passte wie früher. So folgte die Rückkehr nach Innsbruck bald. Einige Zeit verbrachte ich in Innsbruck, ein wenig mehr in der Heimat.

Semester 3: Prüfungen und Bier

Als das neue Semester begann wurde einem die schwindende Zeit bewusst. Waren wir wirklich schon ein Jahr in Innsbruck? Es kam mir vor als hätte ich gestern begonnen zu studieren. Da war so viel Euphorie, so viel Lust, eine immer tiefer werdendes Erkenntnisbegehren. Wir waren nicht mehr die Neuen, wir waren die Dritties, bereits da und doch nicht angekommen. Man trank noch immer viel und besuchte öfter Clubs. Die Kreise wurden spezifischer, Cliquen bildeten sich aus, erster Freundschaftsneid entstand, Menschen fühlten sich ausgeschlossen oder gut aufgehoben. Wir waren gleich, hatten die gleichen Vorstellungen von der Welt und diskutierten. Klischeestudenten waren wir. Daheim wurde noch weniger. Daheim sehnte sich nach mir, doch ich war lieber in Innnsbruck.

Die Aufenthalte in der Uni wurden weniger, zwei, vielleicht drei Vorlesungen besuchte ich. Es sickerte langsam durch, dass kein Bedarf bestand in der Uni zu sitzen, dass der Mehrwert eher gering war und man zur Fremdbeschäftigung neigte. Draußen gab es noch viel zu entdecken. Persönlichkeitswerdung stand im Vordergrund. Es gab ein erstes Seminar, Anwesenheitspflicht und wissenschaftliches Arbeiten. Beschäftigt war ich das ganze Semester mit Prüfungen, alle jene die ich im Sommer verschoben hatte. Prüfungen und Bier, so ließ sich das Semester zusammenfassen.

Man fing an Dinge zu verpassen in der Heimat. Die Semesterferien waren kurz und der Kopf war in Innsbruck, wenn es auch der Körper nicht war. Daheim war nicht mehr so wichtig und dennoch sehr wichtig. Der Hauptwohnsitz war nun in Innsbruck. Das gefiel nicht allen. Bei Gesprächen und Kontakt in der Heimat wurde klarer, dass man sich mehr und mehr in der Lebensweise unterschied. Man war nun Student und die anderen nicht.

Semester 4: Angekommen.

Das vierte Semester war Chaos. Emotionale Bindungen in Innsbruck waren anstrengenend, aber hatten sich ergeben. Streit mit Daheim entstand immer öfter. Wir gingen nie aus. Wann waren wir das letzte mal in einem Club? Die Zeit raste und wir saßen zusammengerobbt in kleinen Wohnungen. Wir tranken immernoch viel, die Bierdosen standen bis zur Decke. Der Hauptwohnsitz war endgültig in Innsbruck angekommen. Alles wurde normaler. Die Anfangseuphorie schwand.

Waren wir jemals in der Uni? Ich besuchte nur eine Vorlesungen und diese war nicht mal im Studienplan vorgesehen. Psychologie war interessant, ich lernte alles gerne, doch Vorlesungen besuchte ich nicht. Zeitverschwendung. Praktikant war ich, eine neue Rolle lernte ich. Ich baute ein Leben rund um die Uni auf und das führte zu Konflikten mit dem restlichen Leben. Prüfungen gab es ein paar. Schieben musste ich einige. Der Notenschnitt sank und es intessierte mich kaum.

Den Sommer verbrachte ich in Innsbruck. Ich hatte Praktikum. Die Stadt im Sommer war öde und leer und doch waren wir da. Es war unsere Stadt und wir arbeiteten. Man stand auf, ging arbeiten, aß und trank Abends zusammen und legte sich schlafen. Ganz früh und nochmal spät war ich in der Heimat, lag in der Sonne und genoss die alten Freundschaften. Ich war zu Besuch und merkte langsam, dass ich immer weniger dazu gehörte. Das schmerzte und trotzdem wehrte ich mich nicht.

Semester 5: Kater.

Im vorletzten Semester war ich Tutor. In der Zeit nach der Anfangseuphorie brauchte man Menschen, die einen in euphorische Stimmungen versetzten. Es klappte. Ich ging oft aus, kam spät nach hause. Der Kater wurde zum Lebensgefühl, sowohl der alkohol- als auch muskeltbedingte. Meine Clique war Normalität, wir machten nicht viel mit anderen, außer im Tutorium. Die Differenzen zwischen uns Fünfties wurden klarer, unsere Persönlichkeiten und Interessen waren eindeutiger abzugrenzen. Der große Mobb war wurde endgültig durch Kleingruppen abgelöst und Feindschaften waren bereits entstanden.

Die Bachelorarbeit stand im Vordergrund. Planung und Literaturrecherche. Ein paar Prüfungen schrieb ich nebenbei. Vorlesungen gab es eh kaum und sie waren auch nicht relevant. Anwesenheitspflichten mussten durchgestanden werden. Es war nicht mehr alles interessant. Die eigene Themenwahl wurde sehr spezifisch. Seminare wurden mehr. Uni wurde langsam aber sicher zur Pflicht und der Enthusiasmus sank. Die Noten waren gut. Die Zeit plätscherte dahin.

Das Ende des Semesters kam schnell und Semesterferien gab es kaum. Es war voll mit Planung. Heimataufenthalte gab es kaum und sie waren mehr ein anstrengender Kurzurlaub als Spaß. Ich hatte mich verändert und differenziert. ich war anders als meine Menschen daheim und dennoch verstanden wir uns. Die alten Themen funktionierten. Meine Abwesenheit wurde zunehmend akzeptiert.

Semester 6: Alltag.

Das sechste Semester war kurz und voll mit Alltag. WG-Alltag, Studiumsalltag, Freundschaftsalltag. Es gab kaum mehr Events, kaum mehr große, interessante Dinge. Wir hatten uns eingenistet und eingerichtet und verbrachten viel Zeit miteinander. Bier war ebenfalls Alltag. Langsam kam man sich vor wie ein Alkoholiker. Wir kochten viel und sahen fern. Wir gingen nicht aus. Wo waren die anderen Menschen geblieben? Wir sahen sie nicht, wir vermissten sie nicht.

Uni war nur mehr ein "Abhak"-Projekt: Letzte Seminare, letzte Prüfungen, die Bachelorarbeit abschließen. Ich erledigte alles mit mehr oder weniger vorhandenen Motivation. Die Lust auf das Bachelorstudium war vorbei. Die Sehnsucht zum Master war da. Man hatte seine eigenen Themen. Man hatte seine Spezialisierung langsam gefunden. Viele wollten nicht mehr zu breitgefächertes Wissen erhalten, nur mehr das, was einen selbst voranbringt. Die Persönlichkeitsbildung wirkt recht abgeschlossen, doch wahrscheinlich ist sie das nicht.

Blicke ich nun zurück so merke ich wie sich die Grundstimmung verändert hat, wie ich mich verändert habe. Die jugendlichte Leichtheit ist nicht gestorben, sie nimmt jedoch ab. Das Ende des Studiums ist in Sicht und ich bin in Innsbruck angekommen. Daheim zu sein ist komisch. Es ist wie ein wenig gelebte Vergangenheit und doch vollkommen anders. Die Zeit stand hier nicht still, die Menschen haben sich verändert. Was einmal war ist nicht mehr so. Wer weiß wo wir in ein paar Jahren stehen werden? Werden die Freundeskreise noch bestehen?

Ich bin nun also Bachelor of Science. Ein Abschluss der in Psychologie nicht viel wert ist. Dennoch bin ich stolz es so weit geschafft zu haben, stolz diesen Titel erlangt zu haben. Studium heißt Bildung und nicht Ausbildung: Das hat der Bachelor geschafft. Wir sind nicht fähig Menschen konkret zu helfen oder ihr Leben zu optimieren, wir wissen jedoch in welche Richtung es uns schlägt. Wir haben die für uns zentralen Kenntnisse erlangen können. Der Master ist der Weg, der uns in die Arbeit und damit ins Erwachsenalter führt. Man wird langsam alt.

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